Montag, 23. Februar 2015

Keine Brücke in Wellington, SA

Was das Navigationssystem vielleicht wusste, aber sicherlich nicht sagte  •  Wie einen selbstverständliche Annahmen zu Überraschungen führen  •  Warum keine Brücke auch eine Option ist  •  Was eine Swing Bridge wirklich ist

Für einmal waren sich die Strassenkarte, der Wegweiser und unser Navigationssystem einig, wie man nach Victor Harbour kommt:

«After 300 metres, turn left!»

Natürlich hatte ich gesehen, dass wir in Wellington (South Australia) über einen Fluss fahren würden, und dachte mir nicht viel dabei, als eine Ampel und eine rot-weisse Barriere die Strasse versperrten. Ausser, "Sieh' mal an, eine Eisenbahnlinie!", was im ländlichen Australien doch ein eher seltenes Ereignis ist. Da vor uns bereits mehrere Fahrzeuge und ein Lastwagen warteten, war nicht allzu viel zu  sehen.

Das Navigationssystem beharrte aber darauf, dass wir vor einem Fluss und nicht vor einer Bahnlinie warteten. Eine Zugbrücke? Der Fluss schien jedenfalls ziemlich breit. Da aus den Autos vor uns die Passagiere ausgestiegen waren, taten wir dasselbe und nahmen einen Augenschein. Erst jetzt begann es mir zu dämmern: erstens ist der Fluss der gewaltige Murray River (dem ich mal einen eigenen Blog-Eintrag gewidmet hatte), und zweitens gibt es hier gar keine Brücke.


Seit über 100 Jahren werden Fahrzeuge und Fussgänger nämlich von einer Fähre transportiert, welche sogar gratis ist. Es war ein einigermassen beeindruckendes Schauspiel, mit welcher Selbstverständlichkeit und Ruhe die Fahrzeuge vom Fährmann der «PS Bullfrog» eingewinkt wurden, wie er dann die Barriere senkte, sich ins vordere Führerhaus begab und uns auf die andere Flussseite chauffierte. Und dabei noch die ganze (!) Zeit am Telefon parlierte!

Hin …


 … und wieder zurück.



In South Australia gibt es 11 Fähren über den Murray River, die alle gratis sind und 24 Stunden pro Tag, 7 Tage in der Woche verkehren. In Mannum sind es sogar deren zwei: eine grosse und eine kleine:


Technisch sind die Fähren — soweit ich beurteilen kann — alle nach demselben Prinzip gebaut: zwei parallele Stahlkabel (Abstand = Fährenbreite) sind an den Betonrampen beidseits des Flusses verankert. Die Kabel sind so lang, dass sie im Ruhezustand in der Flussmitte mindestens einen Meter unter der Wasseroberfläche sind, sodass Schiffe passieren können. Die Fähre selbst ist ein Ponton mit einer Hydraulikpumpe (wie sie in z.B. in Baggern zu finden ist und von einem Dieselmotor angetrieben wird) und zwei in der Höhe justierbaren Auf- resp. Abfahrrampen. Über die Hydraulik werden sowohl die Rampen bedient wie auch auf jeder Seite der Fähre zwei grosse Räder angetrieben, über welche die Kabel laufen, und die die Fähre ans Zielufer ziehen. Eine simple und robuste Lösung.


Schön, auf der einen Seite, dass sich ein solches Relikt — mit einigermassen fortschrittlicher Technik — in unsere Zeit herüberretten konnte. Verwunderlich, auf der anderen Seite, dass eine so wichtige Strassenverbindung durch den Tropfenzähler eines solchen Relikts beschränkt wird. Sicherlich wurden hier schon Wirtschaftlichkeitsrechnungen angestellt, aber wenn in Australien die Amortisationszeit zu lange wird, dann ist das nicht "rentabel", weil sich kein Politiker damit eine Wiederwahl sichern kann. Die volkswirtschaftlichen Kosten, die durch die Absenz der Brücke entstehen, werden kaum je in Betracht gezogen. Abgesehen davon, ist die Amortisationszeit (payback time) ein denkbar schlechtes Instrument, die Rentabilität einer Brücke zu beurteilen, denn nach Ablauf der Amortisationszeit bringt die Brücke weiterhin denselben Nutzen, nun aber zum Nulltarif.

Es gibt hingegen zwei technische Gründe, die für eine Fähre und gegen den Bau einer Brücke sprechen. Erstens die Hochwasser: wenn der Murray so richtig hoch daherkommt, ist er an gewissen Orten viele hundert Meter breit. Da würden Brückenlager mindestens überschwemmt wenn nicht sogar unterspült, denn der Untergrund ist Schwemmmaterial. Zweitens die Schifffahrt auf dem Murray River, die eine hohe Brücke, eine Zug- oder Drehbrücke bedingen würde.

Die Murray Princess, ein Raddampfer im alten Stil

Das Problem ist allerdings nicht neu. Die Swing Bridge in Sale (East Gippsland) dreht sich seit 1883 um den Mittelpfeiler und ermöglicht so den Flussschiffen die Durchfahrt.


Obwohl: unter einer swing bridge hatte ich bisher etwas anderes verstanden, musste aber meinen Irrtum in Sale korrigieren, wenn man Wikipedia als Referenz heranzieht.


Freitag, 20. Februar 2015

Gone Fishing II

Neulich am Meer (no joke!) :


Er hat wohl weder das Plakat gesehen noch meinen Blog-Eintrag gelesen ;-)

Montag, 2. Februar 2015

National Portrait Gallery, Canberra, ACT

Weshalb Canberra mehr als einen Besuch wert ist  •  Warum die National Portrait Gallery so speziell ist  •  Wie auch ein Kunstbanause Kunst versteht  •  Was ein Portrait alles sein kann

Canberra, die Hauptstadt Australiens, ist eine Retortenstadt und wird deswegen von den Bewohnern der grösseren Städte (allen voran Sydney, Melbourne, Brisbane) gerne als “Kulturwüste” geschmäht. Sicherlich hat eine Regierungsstadt — ausser Bern, natürlich — kaum je das Feuer oder den Charme einer über lange Zeit gewachsenen Wirtschaftsmetropole, aber die Stadt Canberra hat Werte, die sie zum must see jeder längeren Australienreise machen, wie ich schon vor vier Jahren festgestellt hatte. Damals reichte uns nicht einmal die Zeit, um alles zu sehen, was wir geplant hatten. Grund genug, noch einmal für drei Tage zurückzukehren.

Ganz besonders wollten wir uns nochmals die National Portrait Gallery vornehmen.


Für Nicht-Kunstverständige wie mich hat die National Portrait Gallery entscheide Vorteile gegenüber anderen Kunstgalerien:
  • Sie ist flächenmässig und an der Anzahl der Exponate gemessen eher klein und deshalb übersichtlich.
  • Der Gegenstand der Ausstellung ist klar abgegrenzt: Portraits von Australiern, von der ersten Besiedelung Australiens bis heute, zumeist Personen des öffentlichen Lebens.
  • Die Exponate sind kommentiert, und dies erst noch verständlich!
  • Der gedankliche Stereotyp eines Portraits — eine Person, meist sitzend, in Öl gemalt — wird gründlich demontiert.
Gerade der letzte Punkt macht den Besuch der National Portrait Gallery so abwechslungsreich und so spannend. Die Frage stellt sich nämlich schon sehr bald: was ist ein Portrait? — Nun, es ist das Abbild einer Person; nicht mehr und nicht weniger.

(Anmerkung: alle Bilder sind mit höherer Auflösung hinterlegt— einfach draufklicken)

Das klassische Portrait mit goldenem Rahmen

Auch eine Büste ist ein Portrait

Auch eine abstrahierte Darstellung ist ein Portrait

Auch ein Selbstportrait ist ein Portrait

Auch eine Karikatur ist ein Portrait

Auch ein Graffiti ist ein Portrait (Nick Cave)

Doch was ist die Person? — Das wird bestimmt durch die Wahrnehmung des Artisten, denn die Person kann viel mehr sein als nur ihr Gesicht oder ihr Körper. Die Darstellung ist die künstlerische Leistung, die Darstellungstechnik meist anspruchsvolles Handwerk.

Die australische Rockgruppe Midnight Oil vor dem Hintergrund einer Tagebau-Uran-Mine, welche auf einen ihrer Hits, Blue Sky Mine, anspielt («nothing's as precious as a hole in the ground»)

Der Umweltaktivist, Arzt und Parlamentarier Bob Brown (*1944), der sich engagiert für die Erhaltung der Wälder um den Frankston River in Tasmanien einsetzte, um sie vor den Holzfällern zu schützen. Das Portrait erzählt die ganze Geschichte.

Auch ein Foto ist ein Portrait — die beiden Captains nach dem Rugby-Finale.
Die Geschichte hinter dem Bild wurde aber offenbar lange Zeit falsch erzählt.

Auf diesem Bild ist das Pferd «Blue Mountain» das Subjekt nicht der Jockey

Ein Abguss des Kopfs von Ned Kelly, einem notorischen Bushranger, nach dessen Hinrichtung.

Neben den vielen einzelnen Portraits, bei denen es immer vor allem um die dargestellte Person und nicht um den Künstler geht, wird aktuell auch noch ein Ausschnitt aus dem Lebenswerk des bekannten Porträtisten Rick Amor gezeigt. Daraus war die zeitliche Entwicklung seiner Arbeit leicht ersichtlich.



Wie in allen nationalen Museen und Galerien in Canberra ist auch der Eintritt in die National Portrait Gallery gratis. Daneben gab es noch eine Sonderausstellung (AU$ 10), die das Thema Portrait auf sehr plastische Weise interpretiert. Uns blieb der Mund offen stehen: die Personen waren wohl aus Silikon hergestellt, doch mit derartiger Präzision, dass man sie von Lebenden kaum unterscheiden konnte:

«Unsettled Dogs», 2012, Sam Jinks (die Figuren sind nur ca. 80 cm gross, was sie fast surreal erscheinen lässt)

Diese 3D-Installation ist fast schon ein Thema für einen Maturaufsatz.

Und übrigens: Fotografieren war nicht nur erlaubt sondern sogar erwünscht. Die Führungen durch die Gallerie sind kostenlos. Alle Portraits, die die National Portrait Gallery besitzt — und nicht nur die aktuell ausgestellten —, sind inkl. Kommentar über die Website zugänglich. So soll sich eine mit öffentlichen Geldern finanzierte Institution dem Publikum präsentieren! Jederzeit wieder einen Besuch wert.