Freitag, 28. November 2014

Gone Fishing

Wie man Risiko definiert • Weshalb die Schreckensnachrichten um Australiens giftige Tiere Panikmache sind • Warum diffuse Warnungen nichts nützen • Wie ein risikobewusstes Warnschild aussieht.

In der Schweiz wird Australien zuerst assoziiert mit Kängurus, Koalas, Outback, Sonne, Surfen, etc. Recht bald werden auch die giftigen Schlangen, Spinnen, die Haie und die Krokodile genannt. Eine Deutsche sagte mir kürzlich, sie würde Australien wegen all der gefählichen Tiere auf keinen Fall besuchen. Ein Fall von Hysterie? — Rational gesehen schon, denn Risiko ist ja bekanntlich die Verknüpfung vom anzunehmenden Schaden mit dessen Eintretenswahrscheinlicheit. Letztere darf aber nie am Einzelfall sondern muss statistisch über möglichst viele Fälle betrachtet werden. Doch werden Ängste häufig gerade auf Erzählungen von Bekannten oder auf Medienberichte abgestellt, die eben nur Einzelfälle sind.

Es überrascht deshalb nicht, dass "all diese tödlichen Tiere" gar kein hohes Risiko darstellen: die Todesursachen (siehe TABLE 4) in Australien für 2012 werden angeführt von Stürzen (1691 Opfer), unabsichtlichen Vergiftungen (1031) und Autounfällen (840); bald folgen Fussgängerunfälle (224) und Ertrinken (222). Die gefährlichen Tiere schaffen es nicht in die Liste der häufigsten unnatürlichen Todesursachen. Auch die Website von z.B. "Bob in Oz" gibt diesbezüglich Entwarnung.

Die Australischen Behörden kennen diese Statistiken natürlich auch, und entsprechend sind Warnungen vor bestimmten Tieren selten. In Queensland wird am Strand allerdings häufig vor den giftigen Quallen gewarnt, die dort saisonabhängig das Baden verunmöglichen. Und weil die Statistik bekannt ist, wird dafür z.B. auf Wanderwegen ausführlich gewarnt, wie ich schon 2011 festgehalten hatte.



Am Sonntag bot sich am Anfang des wunderbaren Coastal Walk in Kilcunda (oben) folgendes Bild:


Die Warnungen sind eher generisch: Gefährliche Strömungen, unerwartet grosse Wellen, rutschige Felsen, etc. Das sind eher diffuse Risiken, und ich frage mich, wie viel diese Schilder wirklich bringen, denn betroffen fühlt sich wohl fast niemand. Was aber auffiel, war das rechts im Hintergrund zu sehende Plakat mit dem vielsagenden und durchaus zweideutig gemeinten Titel «GONE FISHING»:

(Klicke auf das Bild)

In der oberen Bildhälfte ist ein Fels zu sehen um 13:57 Uhr, das Meer ist ein paar Meter weiter unten. Darauf ist etwas mit einem weissen Kreis hervorgehoben. Im unteren Teil des Bilds ist derselbe Fels eine Minute später zu sehen, wie er gerade von einer riesigen Welle überspült wird.

Schaut man sich den weissen Kreis im oberen Bereich genauer an, erkennt man … einen Fischer.


Hier wird ein sehr konkretes und hohes Risiko illustriert, was einen tatsächlich nachdenklich und vorsichtig stimmt. Da hat jemand ganze Arbeit geleistet! Und "GONE FISHING" ist nicht als "Ich bin fischen gegangen" zu verstehen sondern als "Beim Fischen gestorben". So wird die Statistik für 2014 hoffentlich weniger als 222 Tote durch Ertrinken ausweisen.

Freitag, 21. November 2014

Wie man einen Kontinent "erobert"

Warum wir am richtigen Ort sind • Was Rückkehrer als erstes essen • Weshalb wir nicht mit dem Velo reisen • Wie man die grobe Reiseroute festlegt sollte.

Das Englische hat eine prima Redewendung parat, wenn man vor einer grossen und komplexen Aufgabe steht:

«How do you eat an elephant?» — «One bite at a time.»

Am Montag Abend hat uns eine A380 nach unserem zweiwöchigen Erholungsurlaub in Neuseeland auf den australischen Kontinent gesetzt.


Der Container mit unserem Auto traf bereits ein paar Tage früher in Melbourne ein. Offensichtlich sind wir hier am richtigen Ort, denn es steht auf jedem Auto:


So versuchen wir uns nun an der Aufgabe, uns hier zu organisieren und die kommenden 11 Monate zu planen. Die Hausaufgaben haben wir in dem Sinn nicht gemacht, dass wir mit einer Reiseroute im Gepäck gelandet sind. Den Staat Victoria kennen wir von unserem Jahr in Melbourne in 2010 ziemlich gut. South Australia kennen wir ein wenig. Den Rest kennen wir kaum. Aber das soll sich ja jetzt ändern.

Doch wie nimmt man die "Eroberung" von Australien (zur Erinnerung: Aussie ist 185 Mal so gross wie die Schweiz) konkret in Angriff? — Wenn wir uns an die eingangs beschriebene Hilfestellung halten, dann  «One bite at a time». Auf Deutsch würde man dafür vermutlich sagen, «Schritt um Schritt». Dieses Mal hatten wir die Gelegenheit, ganz vorne zu beginnen:

Schritt 1 — Wohnadresse

Wir landeten in Melbourne um 21:05. Es war bereits dunkel. Auf der arrival declaration war erstmals unsere Wohnadresse gefragt. «Travelling» wäre wohl keine sehr geistreiche Angabe gewesen, es ist allerdings fraglich, ob der Immigrationsbeamte diese beanstandet hätte.


Am Flughafenausgang wurden wir von unseren Freunden David und Robyn erwartet. David hatte mir 2010 hier meinen Job gefunden, und die beiden hatten uns 2013 für zwei Wochen in Bern besucht. So hatten wir den Luxus eines "Taxis" direkt zu ihrem Haus.

Schritt 2 — Orientierung

Vom Fond des Autos aus konnte man nicht so viel erkennen, einiges kam uns dennoch bekannt vor. Von ihrem Haus wussten wir nur, dass es im Nordosten der riesigen Stadt liegt. Am nächsten Morgen waren alle bereits zur Arbeit gegangen, als wir in dem grossen Haus erwachten. Der Blick aus dem Fenster enthüllte nicht den erwarteten Weitblick.


Wo waren wir genau? David oder Robyn anrufen? — Erst einmal vor das Haus treten.


Aha, ein eher privilegiertes Quartier. Google Maps wusste dann bereits, wo wir uns befanden:


Schritt 3 — Essen und Trinken

Der Kühlschrank war wohl gefüllt, und von einem kräftigen Frühstück gestärkt machten wir uns auf die Suche nach dem nächsten Shopping Center. Dort war es auch, wo wir später unsere ersten hand rolls verzehrten: Reisrollen mit einem Kern aus Gemüse oder Fisch, zusammengehalten von einem aus Algen hergestellten Blatt. Dazu etwas Wasabi und Sojasauce. Köstlich. $2.60 das Stück.


Schritt 4 — Geld

Damit wir uns überhaupt etwas kaufen konnten, mussten wir zuerst eine ANZ-Bank finden. Unsere Bankkarten von 2009 funktionierten noch, aber wir werden nun trotzdem neue erhalten. Ohne Wohnadresse ging es aber nicht (siehe Schritt 1).

Schritt 5 — Kommunikation

Das Internet im grossen Haus hatte uns bereits auf die Sprünge geholfen, aber für 11 Monate lohnt sich die Anschaffung von neuen SIM-Karten und Mobile Internet. Hier ist der ehemals staatliche Provider Telstra die logische Wahl, wenn man auf Abdeckung schaut, und diese ist für uns vor allem wichtig. Es nützt nicht viel, die günstigsten Tarife zu haben, wenn man das Netz bereits kurz nach Melbourne hinter sich lässt. Auch hierzu war die Wohnadresse essentiell.

Schritt 6 — Transport

Selbst als längjährige Veloreisende müssen wir eingestehen, dass das Fahrrad nicht das Verkehrsmittel erster Wahl ist, wenn man Australien in einem Jahr flächendeckend erkunden will. Mit Kasbah verfügen wir — nicht ganz zufällig, muss man sagen — über ein äusserst geeignetes Transportmittel. Er kam bereits vor einer Woche hier an. Am Mittwoch holten wir ihn aus dem Container und warten nun darauf, dass er von der Quarantänebehörde inspiziert und freigegeben wird. Die Haftpflichtversicherung wird beim lokalen Strassenverkehrsamt gelöst, das Auto fährt aber mit Schweizer Nummernschildern. Natürlich wollten sie auch hier eine Wohnadresse.


Schritt 7 — Reiseroute

Während die Schweiz klein genug ist, dass man in ein paar Stunden von unten links nach oben rechts fahren kann, muss man sich in Australien wohl oder übel eine Reiseroute zurechtlegen, will man nicht mehrfach den Kontinent durchqueren (zur Erinnerung: Perth (unten links)– Cairns (oben rechts) = 6016 km).

In einem Land, das sich über mehrere Klimazonen erstreckt, ist die zeitlich-räumlich richtige Planung entscheidend. Im Outback ist es im Sommer bei Temperaturen bis gegen 50°C kaum auszuhalten und im Fall einer Panne schlicht zu gefährlich. Im Norden sind in der Regenzeit viele Strassen unpassierbar. Im Süden ist der Winter grauslich feucht, kalt und dunkel.

Und damit sind wir bei unserem aktuellen Planungsstand angelangt. Es ist die Aufgabe der nächsten Tage und Wochen, genauer abzuklären und im Gespräch mit den locals herauszuarbeiten, wann welches Gebiet am besten bereist wird. Im Range Rover Club kennen wir einige Mitglieder, die Australien bereits mehrfach rundherum bereist haben. Eine detaillierte Reiseroute werden wir im voraus aber nicht festlegen, sondern nur versuchen, zur richtigen Zeit im richtigen Teil Australiens zu reisen und uns dabei etwas treiben zu lassen und rollend zu planen. «One bite at a time» eben.

Samstag, 8. November 2014

Das Hausratfilter

Wie es kam, dass wir so viel Zeug besitzen • Warum der Schlaf wieder einmal zu kurz kam • Wie aus einer Viereinhalbzimmerwohnung mit grossem Keller zwei Reisetaschen werden • Weshalb Palettieren nicht per se die Lösung ist • Warum Stretchfolie die beste Erfindung war.

Die Aufgabe war so rasch definiert wie aufwändig zu realisieren: wir würden am 1. November mit nichts mehr als zwei Reisetaschen und etwas Handgepäck ins Flugzeug nach Australien steigen, während der ganze Rest unserer Besitztümer die Hardeggerstrasse 12 in Bern verlassen hatte. So galt es also, von gefühlten 500'000 Hausratgegenständen auf 500 zu kommen — ein ziemlich feiner Filter. Doch gehen wir der Reihe nach.

Als wir im vergangenen Juli den Entschluss fassten, unser Reisefahrzeug im September per Container vorauszuschicken und unsere Wohnung auf Ende Oktober zu kündigen, war klar, dass der ganze Hausrat eingestellt werden musste, und wir im Flugzeug folgen würden. Dass die Planung etwas forsch war, die Wohnung am 31. Oktober abzugeben und am 1. November abzufliegen, war ebenso klar. Irgendwie würde es schon zu schaffen sein … Mittlerweile sind wir einen halben Erdumfang weiter und haben uns erholt — so viel Planungsoptimismus musste natürlich wieder einmal mit Schlaf bezahlt werden. Aber um Projektmanagement soll es hier nicht gehen, sondern darum, wie man aus viel Zeug wenig macht.

Eine kleine Chronologie soll helfen, die Dimension des Unterfangens zu überblicken (Klick aufs Bild).

Die x-Achse zeigt fortschreitende Zeit, die y-Achse den Raum, den unser Zeug benötigte

Als wir 2008 aus unserer 2.5-Zimmerwohnung in die grosszügigen 4.5 Zimmer zogen (1), hatten wir 1 Tisch und 6 Stühle, 1 Bett, 1 Sofa, 1 Sessel, 1 Leinwand, 5 Regale, 1 Palme, 1 Auto, 1 Motorrad, 8 Velos und einen kleinen Keller. Kurze Zeit später (2) waren wir "stolze" Besitzer von 5 Tischen, 12 Stühlen, 3 Sesseln, 7 Regalen, 1 Gas-BBQ, sowie 1 Maxiwandschrank (5.5 x 2.7 x 0.6 m). Im Lauf der Jahre kamen 1 Werkbank, 1 grosses Auto, 1 Velo, 8 grosse Topfpflanzen, Lampen und weitere Anschaffungen hinzu (3). Die Wohnung machte vielleicht nicht den Eindruck von üppiger Möblierung, aber sie hatte sehr viel Stauraum. Der grosse Keller war Segen und Fluch zugleich.

Im Mai 2014 fassten wir den Entschluss, auf Reise zu gehen (4), was neue Ausrüstung erforderte (5). Als nächstes ging es darum, die rote Kurve wieder nach unten zu richten und Zeug abzubauen. Am 23. September schickten wir unseren Camper mit dem grössten Teil der Reiseausrüstung los (6). Danach ging es dem Rest an den Kragen: gemäss dem ersten Prinzip der nachhaltigen Stoffstöme — Verlängerung der Lebensdauer — organisierten wir einen garage sale (auch bekannt als yard sale oder Flohmärit) vor unserem Haus (7). Wir verkauften ein paar hundert CDs, viele Bücher, Kleider, Langlauf- und Kletterausrüstung, Geschirr, ein Velo, etc. Die Idee war für viele Passanten offenbar neu und zuerst etwas befremdlich, es ergaben sich dann aber lustige Kontakte.


Damit wir weniger Gegenstände einzulagern hatten, machten wir Freunden und Bekannten das Angebot, dass sie Möbel oder Geräte für ein bis zwei Jahre ausleihen und benutzen können. Gleichzeitig boten wir Gegenstände zum Kauf an (8). So fanden 2 Tische, 12 Stühle, 1 Sessel, 1 Gas-BBQ, 2 Lampen, 1 Spiegel, 1 Leinwand, 1 grosse Topfpflanze und 1 Rennvelo temporäre neue Besitzer, während 1 VW Sharan, 1 Mountain Bike, 1 Heimkino-Projektor, meine B&O-Anlage sowie zahlreiche grosse Pflanzen permanent die Hand wechselten.

Was sich am Flohmarkt, auf Ricardo und auch sonst als Ladenhüter entpuppte, landete bei der Heilsarmee im Bümpliz (10) oder auf dem städtischen Entsorgungshof (11).


Was nun noch übrig blieb, ging in ein Lager. Das war eine ausgewachsene Züglete, und da wurde uns vollends bewusst, wie viel Zeug wir besitzen: zu viel! Einige Regale, die wir gerne losgeworden wären, fanden keinen Abnehmer, waren aber auch zu schade fürs Recycling, und sind nun ebenfalls im Lager.



Der Lagerplatz ist 15 m2 gross, und wir konnten bis zu 3 m hoch stapeln. Da lag es nahe, möglichst viel in Kisten und Kartons zu verpacken und auf Paletten einzulagern.


Als unentbehrlich erwies sich dabei die Stretchfolie auf dem Handabroller: damit kann man rasch und einfach Gegenstände schützen oder mehrere Gegenstände zusammenkleben, egal ob klein (Streben, Tablare) oder gross (ganze Paletten).


Die Schwierigkeit beim Palettieren ist, dass man einige Paletten so stabil laden und oben eine plane Fläche schaffen muss, dass man darauf je ein weiteres Palett stapeln kann. Das gelang uns nur ungenügend. Ein nächstes Mal müssten wir noch konsequenter versuchen, alles in gleich grosse Kartons zu packen und für die sperrigen Gegenstände (z.B. Staubsauger, Lampen) mit Palettrahmen zu arbeiten. Zudem hatten wir zum Beladen des Lastwagens lediglich einen Handgabelwagen, sodass wir dort ohnehin nicht stapeln konnten. Der Effekt war, dass nicht alles auf den Lastwagen passte. Es wurde ein sehr langer Tag :-(

Im Lager hatten wir alsdann ein dreidimensionales Puzzle zu lösen, da wir kaum stapelbare Paletten hatten. Das Bild zeigt die Ausnahme. Am Ende passte "häb-chläb" alles auf die 15 m2.


Nachdem die Wohnung gereinigt und abgegeben war, musste das Putzmaterial und alles, was nicht mit auf die Reise kommen sollte, ebenfalls ins Lager einsortiert werden (12).


Mit zwei grossen Reisetaschen traten wir den Transfer nach Ozeanien an. Damit ist die Sache aber noch nicht ausgestanden: wenn wir unseren Hausrat dereinst mal wieder auslagern, ist das alte Ziel wieder das neue Ziel: Zeug filtern und loswerden! Die wirkungsvollste Massnahme scheint derzeit eine kleinere Wohnung zu sein.

Ironischerweise hatte SRF3 genau in unserer Zügelwoche eine Serie über Minimalismus. Ein "Minimalist" aus Zürich lebt konsequent mit nur 200 Gegenständen. Bevor er einen neuen kauft, wird er einen alten los. So geht das! Ich dachte jedesmal an ihn, wenn ich eine der 40 Kisten aufhob: allein in dieser Kiste würden sich vermutlich über 200 Gegenstände tummeln.