Donnerstag, 24. Juni 2010

Die erste Ministerpräsidentin

Während die Schweiz in den Federn lag, hat sich heute früh in Australien Überraschendes ereignet. Erst vor einer Woche hatte die NZZ getitelt, "Die australische Regierung in Schieflage". Sprichwörtlich "über Nacht" wurde nämlich prime minister (Ministerpräsident) Kevin Rudd sozusagen abgewählt und durch die Vizeregierungschefin und neue Vorsitzende der Arbeitspartei Julia Gillard ersetzt. Sie ist in Australien die erste Frau in diesem Amt.


Wie war das möglich? — Nun, man beachte oben den Zusatz sozusagen. Technisch gesehen wurde Julia Gillard nämlich nicht anstelle von Rudd als Premierministerin gewählt, sondern zur neuen Parteivorsitzenden der Laborpartei, deren bisheriger Chef Rudd war. Das ist natürlich kein Zufall, aber gehen wird der Reihe nach.
  • Australien hat ein Zweikammerparlament (=Legislative) ziemlich genau wie die Schweiz, ausser dass die Queen auch eine Rolle spielt, auf die ich hier aber nicht näher eingehen will.
  • Regiert wird das Land vom Ministerpräsidenten und dessen Kabinett, sprich den Ministern (=Exekutive).
  • Ministerpräsident ist per Konstitution der Vorsitzende derjenigen Partei oder Koalition, die die Mehrheit in der grossen Kammer hat, aktuell (noch) die Labor Party
  • Der Ministerpräsident erkürt die Kabinettsmitglieder aus seiner Partei.
  • (Die Opposition hat ebenfalls einen Vorsitzenden, der in analoger Weise ebenfalls Präsident des Schattenkabinetts ist).
  • Das Parlament wird vom Volk spätestens nach drei Jahren neu gewählt, womit ebenfalls die Mehrheitspartei /-koalition bestimmt wird, deren Vorsitzender ja Ministerpräsident wird.
Und genau im letzten Punkt liegt die crux: es ist nämlich in der Verantwortlichkeit (und Macht!) des Ministerpräsidenten, den Zeitpunkt der Parlamentswahl festzusetzen, spätestens nach drei Jahren. Er wird einen Zeitpunkt wählen, zu dem seine eigene Partei populär ist und beste Chancen hat, sich für weitere drei Jahre als Mehrheitspartei bestätigen zu lassen.

Kevin Rudd hat diesen Zeitpunkt verpasst. Wegen einer umstrittenen Zusatzsteuer für den Bergbau, wegen eines Fiaskos in der Förderung von Wohnungsisolation und wegen anderer Fehler ist die Popularität seiner Partei kürzlich so schlagartig gesunken, dass diese um ihre Bestätigung als Mehrheitspartei spätestens im Herbst bangen musste. So kam es gestern innerhalb der Laborpartei zu einer Revolte, und Julia Gillard wurde als neue Vorsitzende vorgeschlagen.

Der Rest ist bekannt: Gillard wurde heute gewählt und ist damit per Definition Ministerpräsidentin.

Sonntag, 20. Juni 2010

Ballspiele Teil 1 — Fussball

Anders als in den meisten Ländern ist Australiens liebstes Ballspiel nicht Fussball. Generell wecken Cricket und Rugby hier mehr Interesse und Leidenschaft, holen mehr Zuschauer in die Stadien und vor den Fernseher. Und in Victoria ist Aussie Footy (oder mit vollem Namen: Australian-Rules Football) das beliebteste Spiel. Footy wird zwar im Prinzip in ganz Australien gespielt, aber von den 16 Mannschaften der obersten Spielliga sind 10 aus Victoria, davon 9 aus Melbourne.

Footy — Eierball, Muskeln und knappes Dress

Ob Fussball hier nun wie in den USA soccer genannt wird, oder wie z.B. in England football, ist mir immer noch nicht klar. Als ich erfuhr, dass die Nationalmannschaft Socceroos genannt wird, dachte ich, dass wohl soccer gebräuchlich sei. Sage ich aber soccer, werde ich auf football korrigiert. Sage ich football, meint wieder einer, ich spräche vom footy.

Im Moment fiebert das Land aber natürlich mit den Socceroos in Südafrika mit. Das erste Spiel gegen Deutschland ging mit 0:4 verloren, nun hoffen alle auf einen Sieg gegen Ghana.

Die Socceroos als klar wird, dass sie gegen Germany verlieren werden

Alle 64 Spiele der WM werden hier über die öffentlichen Fernsehkanäle übertragen; über private Kabelkanäle sind etwa gut 30 Spiele in HD und 15 sogar in 3D zu empfangen. Das sagt einiges über die Wichtigkeit aus, die Fussball hier trotzdem hat: als vor zwei Wochen die Australierin Samantha Stosur im Final des French Open stand, wurde dies von einem öffentlichen Kanal live übertragen. Der Herrenfinal (Nadal gegen Söderling) am Tag danach war nur übers Kabel zu sehen. Obwohl also in rund 60 WM-Spielen keine Australier partizipieren, werden diese Spiele trotzdem – und teils morgens um 4 Uhr — live für alle gesendet.

Montag, 14. Juni 2010

Murry River

Queen's Birthday (es scheint unklar, wessen Königins Geburtstag es ist, und selbst wenn man es wüsste, würde es nichts helfen, denn es ist hier immer der zweite Montag im Juni) bescherte uns ein langes Wochenende. Eine willkommene Gelegenheit, mal etwas weiter nach Norden zu fahren, wo es vielleicht trockener und vielleicht auch ein, zwei Grade wärmer ist als in Melbourne.

Entgegen der Aussage von Bill Bryson, dass man auf der Fahrt von einer grösseren australischen Stadt zur anderen zuerst durch den bush fährt, dann lange durch das outback, dann wieder durch den bush, bevor man schliesslich in der anderen Stadt ankommt, ist ausserhalb von Melbourne nicht überall bush, und dahinter nirgends das outback. Fährt man nämlich Richtung Nordwesten, beginnt schon bald im grossen Stil die Landwirtschaft. Vor allem Schafzucht, aber auch Kühe und Ackerbau. Hinter Bendigo ist die Landschaft mindestens zwei Stunden lang flach, und alle paar Kilometer hat es eine Farm.


Danach folgt eine Region mit riesigen Obst- und Gemüseplantagen. Das ist der nördliche Rand von Victoria, der durch den mächtigen Murry River gebildet wird, von dem das meiste Wasser für den Anbau stammt.

 Aus Bild klicken für Vergrösserung

Der Murry River ist total 2700 km lang und bestimmt den grössten Teil der Grenze zu New South Wales.

Der Murry River ist die dickere blaue Linie.

Interessanterweise wurde das Gebiet südlich des Flusses ursprünglich nicht auf dem Landweg erschlossen, sondern eben von Fluss aus, der für Raddampfer geeignet war.


Da die Landschaft nur wenig Gefälle hat, mäandiert der Murry sehr stark und hat hunderte von Biegungen, wie auf dieser alten Karte eines Raddampfer-Kapitäns ersichtlich ist. Die Sandbänke sind schraffiert eingezeichnet. Seit Eisenbahn und Strassen gebaut sind, gibt es keine kommerzielle Schifffahrt mehr.


Entlang des Murry bieten sich ungezählte Möglichkeiten für idyllische Campings. Allerdings hat es im April in dieser Zone seit zwei Jahren erstmals wieder richtig geregnet, und deshalb ist die Zufahrt zum Flussufer oft etwas "moorig", auch wenn im Bild gerade eine Sandpassage zu sehen ist. So oder so ist die Region einen genaueren und längeren Besuch wert.

Mittwoch, 2. Juni 2010

Sports and the City — Albert Park (part 4)

Der Albert Park (siehe diesen Blog-Eintrag) ist ein attraktiver Ort für ein Picknick oder Barbecue, er bietet eine schöne Runde fürs Joggen und eine Rennstrecke für die Formel 1. Aber das Herz des Parks ist der palmengesäumte Albert Lake, auf dem gesegelt und gerudert wird. Wir haben nachts auch schon mal einen Schwimmer gesehen, der nach eigenen Angaben für die Ärmelkanalüberquerung trainierte.

Weil wir den Winter 2009/2010 gänzlich verpassten und dadurch um zahlreiche schöne Langlauftage — mit Ganzkörpertraining — kamen, packten wir Anfang Februar die Gelegenheit, bei einem der Ruderclubs ein Schnuppertraining zu absolvieren. Für $10 kriegte man eine Einführung auf der Rudermaschine, danach ging's im Vierer mit Steuermann (Coach!) auf den See. In meinem Boot schlugen wir uns nicht allzu schlecht, Jeannines war offenbar wegen zwei Untertalentierten etwas weniger erfolgreich.


Dazu muss man sagen, dass das Rudern in einem Vierer mit dem Rudern in einem Fischerboot kaum Gemeinsamkeit aufweist, ausser vielleicht, dass man mit dem Rücken in Fahrrichtung sitzt. Die Füsse sind festgeschnallt, der Sitz fährt auf Rollen vor und zurück, jeder Ruderer hat nur einen Riemen (für Laien: Ruder, englisch oar), und das Ruderblatt wird über Wasser horizontal gedreht und geführt. Auch das Ruderer-Englisch ist etwas gewöhnungsbedürftig:
  • easy oar – aufören zu rudern
  • check – bremsen
  • feather – das Ruderblatt parallel zur Wasseroberfläche stellen
  • squared and buried – das Ruderblatt zum Rudern eingetaucht
  • gate – die Ruderhalterung
  • coxswain – ausgesprochen "cox'n", der Steuermann
  • etc.
Ganz missverständlich wird es, wenn von bow die Rede ist, das kann nämlich sowohl der Bug wie auch die rechte Bootsseite (in Fahrtrichtung) sein. Die linke ist stroke, und stroke ist ebenfalls ein Ruderschlag.


Die Ruderbewegung hat mehrere Phasen, und worauf es vor allem ankommt, ist die absolute Gleichzeitigkeit und Symmetrie aller Bewegungen aller Ruderer. Die Boote liegen zwar einigermassen stabil im Wasser, wenn jedoch ein Ruderer seinen Riemen (er hat ja nur einen!) früher als alle anderen aus dem Wasser hebt, dann nickt das Boot etwas zur Seite, sodass der andere Ruderer auf der gleichen Seite nun das Blatt seines Riemens kaum aus dem Wasser kriegt, was ihn – und damit die ganze Mannschaft – aus dem Rhythmus wirft. Oft heisst's dann "easy oar! crew come forward! squared and buried! ... and ... roooow!".

Seit Anfang März waren wir fast jeden Mittwochabend im Training. Seit einigen Wochen fand das ganze Training im Dunkeln statt. Das gefiel uns besonders gut, denn die Boot gleiten fast lautlos übers Wasser, und man muss den Rhythmus mehr fühlen als dass man ihn sehen kann; der Ruderer zuhinterst im Boot (stroke seat) gibt den Takt vor, da er seinerseits nur den Steuermann sieht. Leider war heute wegen Winterpause vorderhand die letzte Ausfahrt. Vielleicht suchen wir uns jetzt einen "winterfesten" Ruderclub.

Weitere Beiträge zum Albert Park: Teil 1Teil 2Teil 3