Samstag, 2. April 2016

The Lucky Country

Es war gut, dass ich Donald Horns Buch, The Lucky Country (Wikipedia), nicht früher gelesen habe. Denn ziemlich sicher hätte es meine eigenen Beobachtungen von Australien und den Australiern mit Vorurteilen belastet.


The Lucky Country ist kein neues Buch: Horne, ein äusserst gebildeter und kritischer australischer Journalist, schrieb es bereits 1964. Zu einer Zeit, als Australien durch den Export von Wolle und Bodenschätzen im Geld schwamm, und als die Labor-Partei immer noch die Vorherrschaft der weissen Rasse propagierte. Es gilt als eines der wichtigsten Bücher über Australiens Gesellschaft, deren Kultur und Politik in den 60er-Jahren. Und es ist wohl das am meisten missverstandene australische Buch überhaupt. Der Grund dafür liegt im Titel selbst: The Lucky Country ist ironisch gemeint, aber die meisten Australier mein(t)en, im Titel sofort ihr Land zu erkennen, und interpretieren den Titel, ohne das Buch gelesen zu haben. Sie sind stolz, Australier zu sein (auch wenn sie genau dazu, im Grunde genommen, nichts beigetragen haben).

Die Kernaussagen des Buchs sind freilich ganz anders:
  • Australiens Wohlergehen ist zum grössten Teil glücklichen Umständen geschuldet, nicht schlauen Ideen, guter Planung und harter Arbeit
  • Die australische Wirtschaft ist geprägt von stumpfem Management und fehlendem Innovationsvermögen
  • Australier sind mit sich selbst und der Welt zufrieden und sind sich der Fragilität des Glücks nicht bewusst
  • Es besteht ein akutes Risiko, dass Australien strauchelt und in einen Abwärtsstrudel gerät
Es würde jetzt hier zu weit führen, Hornes Aussagen im Einzelnen zu erläutern, aber so viel sei gesagt: als profunder und intimer Kenner von Australiens Seele, Geschichte, Wirtschaft, Innen- und Aussenpolitik, Bildungswesen und Gesellschaft, lieferte Horne eine sehr detaillierte und präzise Beschreibung seines Volkes.


Über The Lucky Country stolpert man regelmässig, wenn man sich etwas ernsthafter mit Australiens Wesen befasst. Im Januar 2015, nach den seltsamen, politisch induzierten Spassbegrenzern in der vorausgegangenen Silvesternacht in Sydney, hatte ich ein Buch gesucht, das sich kritisch mit der aktuellen Entwicklungen in Australiens Politik, Wirtschaft und Gesellschaft auseinandersetzt. Und gefunden: es gab keinen Weg an The Rise and Fall of Australia (Untertitel: How a great nation lost its way), 2014, von Nick Bryant vorbei.


Bryant, ein renommierter britischer Journalist, hat in Cambridge Geschichte studiert und in Oxford in US-Politik doktoriert, ist mit einer Australierin verheiratet, arbeitete für die BBC in Südostasien und schliesslich von 2006 bis 2014 in Sydney. Er ist einerseits Aussenstehender, kennt Australien aber von innen, ist intelligent, differenziert — und kritisch. Bryant versteht sein Buch als moderne Fortsetzung von The Lucky Country (… also hätte ich zuerst letzteres lesen müssen, um ersteres verstehen zu können, was ich aber dann nicht tat, sondern ich verschob die Lektüre von The Lucky Country auf die letzten Wochen in Australien).

Bryant liefert viele aktuelle Analysen zu den von Horne vor 50 Jahren formulierten Postulaten. In vielen Punkten stimmt er Horne auch heute noch zu, stellt aber insgesamt fest, dass Australien — entgegen Horns Prognosen — wirtschaftlich durchgestartet statt abgestürzt ist. Australien ist die einzige Industrienation, welche praktisch unbeschadet aus den vergangenen drei Weltwirtschaftskrisen hervorgegangen ist. Er preist ganz speziell Australiens Beiträge und Akteure in Kultur, Wissenschaft und Bildung, und attestiert Australien, dass es auf der Weltbühne, trotz nur 23 Mio. Einwohnern, in der obersten Liga mitspielt. Aber er zeichnet ein äusserst düsteres Bild der politischen Klasse Australiens. Hier ist er wesentlich negativer eingestellt als Horne, der der australischen Führungselite unterstellte, dass sich das Land aus lauter Glück und nicht aufgrund von Planung und Können erfolgreich entwickelt habe. Bryant bezeichnet die politische Elite als unfähig, kurzsichtig und mit sich selbst beschäftigt. Und weil das politische System insgesamt in die Enge führe (es ist nach dem britischen Westminster-System modelliert), sei leider auch keine Besserung in Sicht. Das faktische Zwei-Parteien-System sei ein Irrlauf: Politiker befänden sich dauernd im Wahlkampf und müssten kurzfristig erzielte Resultate vorweisen. Beim Wechsel der Regierungspartei würde die für langfristige Ziele notwendige Kontinuität gebrochen.

Auch hier würde es zu weit führen, Bryants detaillierte und mit vielen Beispielen belegte Argumentation zu erläutern. Nur so viel sei gesagt: wer sich kritisch mit Australien von Heute beschäftigen will, kommt um dieses brilliante Buch nicht herum.


So, und nun folgt meine eigene kritische Betrachtung Australiens. Wir waren im letzten Jahr oft gefordert, uns zu überlegen, wie wir zu Australien stehen. Denn die Australier stellten uns immer wieder dieselbe heikle Frage, nachdem sie erfahren hatten, dass wir bereits ein Jahr in Melbourne gearbeitet hatten, dass wir Ingenieure sind, und dass wir uns ein Jahr Zeit genommen hatten, Land und Kultur in Breite und Tiefe zu erkunden:
Wouldn’t you like to live in Australia (Möchtet Ihr nicht hier leben)?”
Achtung Tretmine! Im Wissen und in der Erfahrung, dass Australier kaum kritikfähig sind, gab es drei mögliche Antworten:
  • die Notlüge (“Ja, das würde uns gefallen!”) — damit ist der weitere Verlauf des Gespräch gesichert;
  • die Ausflucht (“Wir haben Verpflichtungen in der Schweiz”) — das Gespräch wird aus dem Minenfeld herausgesteuert;
  • die Wahrheit (die ehrliche Antwort lautet, “No way!”) — damit ist das Gespräch nach ein paar Nachfragen zur Begründung beendet. 


Wir hatten 2010 ein sehr spannendes Jahr in Melbourne; wir hatten eben ein phantastisches Jahr rund um — sowie kreuz und quer durch — diesen riesigen Kontinent. Aber dauerhaft hier leben und arbeiten? – Nein danke. Das hat vor allem vier Gründe, denen sowohl Horne (1 bis 3) wie Bryant (1 bis 4) ganze Kapitel widmeten, und die ich bestätigen kann:
  1. Ideen und Innovationen sind nicht in Australien zuhause (siehe auch Punkt 3). Die Australier lamentieren dauernd, dass sie bald nur noch chinesische Billigprodukte kaufen könnten. Ja, klar, wenn hier nichts Neues entwickelt wird, und wenn jeder nur seinen eigenen Geldbeutel optimiert (führt gleich zu Punkt 2). Australien schuldet praktisch seinen ganzen Reichtum den natürlichen Ressourcen (dazu zähle ich auch die Landwirtschaft). Pro Tag werden 2 Mio Tonnen Eisenerz aus dem Hafen von Port Hedland ausgefahren, vorwiegend nach China. Warum wird das Erz nicht in Australien zu Eisen verhüttet, zu Stahl vergütet und zu Produkten verarbeitet? — Betretenes Schweigen. Man kauft das Eisen später von China zurück.
  2. Kurzsichtigkeit ist fast schon ein Volkssport. Etwas planen, nachhaltig und qualitativ hochwertig umsetzen ist un-australian. Lieber “give it a go (versuch’s halt mal)”, und lieber dreimal billig kaufen als einmal gut. In die Zukunft investieren? Energieeffizienz, Abfallmanagement: eine Schande für so ein hoch entwickeltes Land! Gebäude sind nicht isoliert, der meiste Müll wird heute noch im Boden vergraben; nicht einmal Batterien werden rezykliert. Lieber den so gesparten Dollar in ein grösseres Haus oder ein schnelleres Motorboot investieren. Und genau so denkt und handelt auch die Politik: senken wir die Steuern, damit wir wieder gewählt werden, für die Umwelt schauen wir später. Politische Vision: Fehlanzeige. Aber: Befragen wir ausserhalb von Australien Leute zum ökologischen Image Australiens, dann denken alle, man sei dort super ökologisch und nachhaltig. Wie ist den Aussies dies bloss gelungen? Einfach nur Glück?
  3. Konformismus ist ein allgegenwärtiger Druck, dem sich die Australier beugen. Nur nicht anders sein als die anderen. Die Standards und Verhaltensmuster sind klar bekannt, und wer sich darüber hinwegsetzt, wir von Seinesgleichen in den Senkel gestellt. Das nennt man hier das tall-poppy syndrome: ragt eine Mohnblume über die anderen heraus, wir sie geköpft. Die Leute beugen sich der Konformität meist wie Schafe. Klar, dass sich in einer solchen Kultur niemand wagt, durch neue Ideen aufzufallen oder Trends zu setzen. Wer Geld für Solarpanels ausgibt, muss sich der Kritik seiner Freunde aussetzen, wird als dumm bezeichnet, weil sich der Kauf doch erst nach 10 Jahren amortisiere.
  4. Nanny State (staatliche Bevormundung) ist die treffende englische Bezeichnung für unsere erstaunlichste Entdeckung: Was ist nur passiert mit Crocodile Dundee und dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten? Die Städter fürchten sich davor, in die Natur hinauszugehen. Politiker und Behörden beschützen ihre Bürger vor allen nur möglichen (und unmöglichen) Gefahren. Sogar Spass-Haben wird verboten. Nirgends haben wir auch nur annähernd so viele unnötige Warnschilder gesehen wie in Australien. Überall weiss der Staat am besten, was seinen Bürgern gut tut, und scheut sich nicht, dies mit Regeln und Gesetzen vorzuschreiben. Das Haftpflichtgesetz schaltet Eigenverantwortung aus. Tausende von Consultants verdienen mit Risikoanalysen und dem Erarbeiten von Massnahmen und Sicherheitsvorrichtung gutes Geld. Das färbt mit der Zeit auf die Leute ab, und alle werden ängstlich. Und wegen Punkt 3 muckt kaum jemand auf.
Wer ein Haus baut, baut zu allererst einen Zaun, damit sich auf dem Areal niemand unbefugterweise verletze

Gefährlicher Wald

Ein Brücklein bietet ungeahnte Gefahren

Wie oft gehen Fussgänger zu dritt nebeneinander?


Vor lauter Zaun kann man das Exponat gar nicht mehr richtig betrachten


Hochgradig reglementiert: Sylvesterfeier Sydney


Wer denkt schon daran, das Wasser aus dem Teich zu trinken?

Keine Fussgänger weit und breit

Neben diesen vier Gründen, nicht in Australien leben zu wollen, gäbe es hundert Gründe dafür. Als Reiseland ist Australien auf alle Fälle fast nicht zu schlagen: landschaftlich umwerfend und abwechslungsreich; sicher (ja, trotz all der giftigen Tierchen); mit einer super Reiseinfrastruktur ausgerüstet; und von netten, gebildeten, zugänglichen Leuten bewohnt, die es sich gerne gut gehen lassen und die am liebsten einfach so weiterleben, wie bisher. Donald Hornes Analyse ist auch heute noch erstaunlich zutreffend.

Sonntag, 6. Dezember 2015

Die Reise geht weiter

Wie ein 2.80 m hohes Fahrzeug in einen 2.56 m hohen Überseecontainer passt • Wo unsere Reise weitergeht und wie man uns "medial" verfolgen kann • Was mit diesem Blog passieren wird.

Am 14. Oktober haben wir in Melbourne unser Reisemobil ein weiters Mal in der erprobten Manier eingepackt und verabschiedet.

Die Räder ersetzen wir durch kleine Containerlaufräder, die die Fahrzeughöhe um 28cm verringern

Da der Wagenheber in einem Mal nur etwa 20 cm heben kann, müssen wir die Achsen in mehreren Stufen ablassen

Festgeschnallt und …

… see ya, mate!

Die Destination war der Containerhafen an der Küste von Santiago de Chile. Mittlerweile sind wir und Kasbah dort eingetroffen, aber ausgepackt wird er erst am Montag. Wir werden nun ein weiteres Jahr in den Andenländern Südamerikas unterwegs sein. Dafür haben wir einen neuen Blog aufgesetzt, der unsere drei Australien-Blogs ablösen wird (mehr dazu).

Ich habe aber noch ein paar für mich wichtige Coooo-eeee-Einträge über Australien in Arbeite und werde diese hier in den nächsten Wochen (parallel zum neuen Südamerika-Blog) veröffentlichen. Danach werde ich Coooo-eeee pensionieren.

Freitag, 23. Oktober 2015

Sheepo,Teil 2

Was einen Scherer mit einem Tour-de-France-Rennfahrer verbindet • Wie ein Contracting-Team funktioniert • Wo die Australische Labor Party ihre Wurzeln hat • Warum die Scherer genau viermal zwei Stunden arbeiten. 

Fortsetzung von Teil 1.

Wann in Australien das erste Schaf gegen Bezahlung geschoren wurde, ist nicht überliefert. Dafür ist genauestens bekannt, wie viele Schafe es 1845 allein in Victoria gab: 1'792'527 — und die mussten geschoren werden. Um 1850 machte die Wolle bereits zwei Drittel der australischen Exporte aus, die ausschliesslich nach England gingen.

(Quelle: Foto in der Birdsville Bakery)

Geschoren wurde damals mit der Handschere, zuerst im Freien durch die Schafhirten selbst. Die Wolle war von mässiger Qualität, doch wurde rasch optimiert:
  • die Merino-Schafe wurden auf höheren Wollertrag und höhere Wollqualität hin gezüchtet
  • spezialisierte, fliegende shearers (Scherer) übernahmen ab ca. 1840 die Scherarbeit
  • die Schertechnik wurde laufend verbessert
  • vor dem Scheren wurden die Schafe im Bach gewaschen, ab ca. 1870 mit warmem Wasser in Becken
  • es wurden spezielle woolsheds (Schuppen) gebaut, in denen geschoren, die Wolle aufgenommen, nach Qualität klassiert und in Ballen gepresst wurde.
Die shearers radelten Hunderte Kilometer zwischen den Stations
(Quelle: Buch On the Sheep's Back)

Handschere (ziemlich abgenutzt, Klingen bereits stark verkürzt)

Traditionelle shearers' mocassins

Woolshed in Hay

Vier Scherstände — die Schafe warten hinter den Türen

Hinter jeder Türe ein Pferch — Sheep-o!

Richtig platziert halten die Schafe still

Über die Rutschen kommen die Schafe nach dem Scheren wieder ins Freie

Der Entwickler der Tally-Hi Schermethode (Shearers' Hall of Fame, Hay)

Während die shearers zuerst direkt vom Station-Besitzer angeheuert wurden, entwickelte sich seit dem späteren 19. Jahrhunderte ein Contracting-System, in dem der Besitzer einen Vertrag mit einem contractor schliesst, der ein komplettes Team stellt, um z.B. 30'000 Schafe in vier Wochen zu einem Preis von so-und-so pro Schaf zu scheren. Ein Team besteht aus:
  • contractor — organisiert und überwacht vor Ort den Betrieb
  • shearers — trennen die Schafe von der Wolle
  • expert — hielt früher die Scheren scharf und später die Apparate und Maschinen am Laufen
  • rouseabouts— nehmen die Wolle am Boden zusammen, und präsentieren den fleece (der Grösste Teil der Wolle kommt als zusammenhängender "Teppich" herunter) auf dem Wolltisch
  • tarboy — verarztet die Schafe nach kleinen Schnitten, indem er eine Art Teer draufstreicht; grössere Schnitte muss der shearer selbst mit Nadel und Faden zunähen
  • classer — begutachtet die Wolle und teilt sie in Qualitätsklassen ein
  • pressers — pressen die Wolle nach Qualität in Ballen à 200 kg
  • cook — sorgt für das leibliche Wohl des Teams.
Bis zur Einführung von Ballenpressen, die von Dampfmaschinen, Elektromotoren oder hydraulisch angetrieben wurden, war das Pressen eine Racker. Waren die pressers zum offiziellen Arbeitsschluss nicht fertig, stand Nachtarbeit an. Der Koch hatte wohl den längsten — und vielleicht härtesten — Tag: von 04:30 bis ca. 22:00 wollten Frühstück (pro Person 2 Würste, 2 Eier, Speck, 2 Toasts), Smoko (Znüni: 2 Sandwiches), Lunch (kaltes Fleisch, Nudel-, Blatt- und Kartoffelsalat, Tomaten, Brot, Butter, 250 g eingemachte Früchte), Smoko (Zvieri: 4 Brötchen) und Nachtessen (4 Scheiben Lammbraten, 2 Kartoffeln, 200g Kürbis, 1/2 Tasse Erbsen, Sauce, Brot, Butter, Pudding) zumeist auf dem Feuer zubereitet sein. Brot musste gebacken, Tee und Kaffee gekocht, und alles wieder abgewaschen werden. Kerosinkühlschränke hielten das notwendigste kühl.

Von einer Dampfmaschine angetriebene Ballenpresse
Vordergrund: Schleifstein für die Schermesser

Küche (Quelle: Buch On the Sheep's Back)

Doch die offiziellen Schwerarbeiter — aber teilweise auch die Primadonnen —war die shearers: sie arbeiteten Montag bis Freitag von 07:30 bis 09:30 (Smoko), von 10:00 bis 12:00 (Lunch), von 13:00 bis 15:00 (Smoko) und von 15:30 bis 17:30. Die woolsheds waren meist aus Wellblech; Innentemperaturen gegen 50°C waren keine Seltenheit. Die Unterkünfte waren oft sehr primitiv, denn hier sparte der Station-Besitzer Geld. Am Samstag wuschen die shearers ihre Kleider, danach war Ausgang und am Sonntag Ruhetag. Ihre Arbeit war bis aufs Kleinste durch die Scherergewerkschaft (Australian Shearers' Union, ASU, gegründet 1886) vorgegeben. Die Arbeitszeiten wurden sekundengenau mit einer Glocke ein- und ausgeläutet, angefangene Schafe wurde nicht fertiggeschoren. Gewerkschaftlich organisierte shearers weigerten sich, mit Leuten zusammenzuarbeiten, die nicht in der Gewerkschaft waren.

Arbeit im Woolshed; im Vordergrund der wool table, an dem die fleeces klassiert wurden(Quelle: Buch On the Sheep's Back)

Da die shearers in einem woolshed Seite an Seite arbeiten und pro geschorenes Schaf bezahlt werden (alle anderen arbeiteten im Tagslohn, Unterkunft und Verpflegung war für alle Teil der Abgeltung), wird geschoren, was das Zeug hält — und natürlich genauestens Buch geführt. Der ringer ist der shearer, der an diesem Tag die meisten Schafe geschoren hat. Den Rekord für Handscheren hielt Jackie Howe, der am 10. Oktober 1892 in 7 Std 40 Minuten 321 Schafe schor — das sind knapp 90 Sekunden pro Schaf! Er sei 88 kg Muskeln gewesen mit Händen wie kleine Tennisrackets. Der Rekord steht immer noch.

Mit der Maschine wird der Rekord bis heute laufend verbessert und steht für Merino-Mutterschafe bei 466 (in 8 Std). Ein shearer verbrennt in einem Arbeitstag annähernd so viele Kalorien wie ein Tour-de-France-Rennvelofahrer. Sheep-o!

Schermaschine (Exponat im Shearers' Museum in Hay, das zeigt, wie die Maschine funktioniert)

Ein grosses Merino-Schaf wird von A bis Z geschoren, dann wird der fleece auf den Tisch geworfen und gesäubert

Scheralltag heute

"The Australian Shearer" wurde glorifiziert und zu einem nationalen Mythos aufgebaut, der erst etwas an Glanz einbüsste, als im Ersten Weltkrieg der ANZAC-Soldaten-Mythos gefördert wurde, der bis heute anhält.

Die Schermaschinen hielten ab den späten 1880er-Jahren Einzug, und es kam zum Glaubenskrieg: Handschere gegen Maschine. Zu diesem Zeitpunkt waren die meisten shearers in gut angelsächsischer Manier bereits gewerkschaftlich organisiert, und die Gewerkschaft hatte Angst, dass mit der Maschine schneller geschoren werden konnte und dass dadurch weniger Mitglieder Arbeit fanden. Das war ein Motto, das sich bis in die 1980er-Jahre durchzog, als die Neuseeländischen shearers in Australien einen Scherkamm zu benutzen begannen, der 91 mm statt der gewerkschaftlich erlaubten maximalen 64 mm breit war (Details). In beiden Fällen kam es zu gewaltsamen Anfeindungen, zu Streiks, Schlägereien, Brandstiftungen, Vergiftungen mit Strichnin, Verhaftungen und Gerichtsprozessen, die Gräben in ganz Australien hinterliessen. Die Gewerkschaft trat von Anfang an als Verhindererin des technologischen Fortschritts auf. 1891 kam es an mehreren Orten in Queensland zum Streik, das Streikkomittee tagte in Barcaldine. Während fünf Monaten lagerten dort 4'500 streikende shearers. Die politische Führung schlug sich auf die Seite der Station-Besitzer, die Streikbrecher herbeifahren liessen, weil ihre Schafe geschoren werden mussten. 1'000 Polizisten wurden aufgeboten. Aber das Ganze war von der ASU schlecht geplant gewesen, das kalte und nasse Wetter zermürbte die Streikenden, das Geld ging aus, sie mussten das Handtuch werfen. Doch ging aus dieser Bewegung die Labourers' Union hervor, die der Vorläufer der heutigen Australischen Labor Party (ALP) war. Die Konstitution der ALP besagt heute noch:

"The Australian Labor Party is a democratic socialist party and has the objective of the democratic socialisation of industry, production, distribution and exchange, to the extent necessary to eliminate exploitation and other anti-social features in these fields" (Quelle).

Schmaler und breiter Scherkamm

Tree of Knowledge in Barcaldine: hier tagte 1891 das Streikomittee

Gewerkschaften spielen im Wirtschaftsleben von Australien bis heute eine wichtige Rolle. Und leider keine gute. Sie gehen stets von der einzigen Annahme aus, dass die Arbeitgeber die Arbeitnehmer ausbeuten wollen, um ihren eigenen Gewinn zu maximieren. Den Gewerkschaftszentralen geht jedes unternehmerische Verständnis ab. Als die breiten Scherkämme aufkamen, verbot die ASU ihren Mitgliedern aufs Schärfste, diese zu nutzen, auch als die meisten shearers zur Einsicht gekommen waren, dass sie damit produktiver waren. Die ASU verlor deshalb später innert kurzer Zeit 70 Prozent ihrer Mitglieder …

Es ist allgemein bekannt, dass Ford, Holden und Toyota ihre Produktionen in Australien in den nächsten zwei Jahren unter anderem auch deshalb einstellen, weil sie keine gemeinsame Zukunft mit den australischen Gewerkschaften mehr sehen. So verlieren die Gewerkschaftsmitglieder nun nicht nur einen Teil ihrer Privilegien sondern gleich die Stelle. Sheep-o!

Quellen: Buch On the Sheep's Back, 2010; Buch The Shearers, Ewan McHugh, 2015 (auch als Hörbuch verfügbar); Shearers' Museum und Shearers' Hall of Fame, Hay, Australia

Freitag, 16. Oktober 2015

Sheepo,Teil 1

Wie Australien zum ersten Reichtum kam • Was den Niedergang der australischen Wollindustrie einleitete • Wie viel Wolle ein Merino-Schaf gibt • Warum man heute nicht so einfach von Rindern zu Schafen wechseln kann.

"Sheep-o!" rufen die australischen Schafscherer (shearers) mit Nachdruck, wenn während ihrer Arbeit der Nachschub stockt. Sie arbeiten im Akkord und sind extrem ungeduldig, wenn es ein Gehilfe verpasst, rechtzeitig den kleinen Pferch hinter dem Scherposten mit Schafen aufzufüllen. Schafescheren war einst ein goldenes Handwerk, und Wolle hat den ersten Reichtum von Australien begründet (der zweite Reichtum waren die Bodenschätze). Die Wollindustrie hat über mehr als 100 Jahre massgeblich die Arbeitskultur in Australien geprägt und trägt damit auch eine Mitverantwortung, wenn Holden, Ford und Toyota in 2016 und 2017 die Autoproduktion in Australien einstellen. Aber I'm getting ahead of myself, wie die Australier sagen würden, also der Reihe nach.

Wolleballen à 200 kg werden mit einem Pferdegespann abtransportiert

Die elf Schiffe der First Fleet, die Australien im Januar 1788 mit rund 1300 Personen erreichten, um eine Strafkolonie zu gründen, hatten in Kapstadt unter anderem 44 Schafe zugeladen. Die meisten landeten in der Pfanne. Es dauerte viele Jahre, bis sich die Kolonie selbst versorgen konnte, immer wieder mussten Lebensmittel von Südafrika, Indien, den Norfolk Islands und England nachgeliefert werden.

1796 wurden 26 Merino-Schafe von Südafrika eingeführt, 1820 nochmals 5’000, und daraus entstand Australiens erste Industrie. 1848 wurden 5’657 Tonnen Wolle nach England exportiert, dann explodieren die Zahlen: 1892 weideten 102 Mio. Schafe, die 289’000 Tonnen Wolle lieferten. Diese Entwicklung ging zusammen mit dem Einwandererstrom und der Expansion der Kolonien zuerst ins Landesinnere, dann nach Norden und Westen wie im vorletzten Eintrag beschrieben. Doch während der bisher längsten Dürre (1894 bis 1904) seit der weissen Besiedelung Australiens ging die Zahl auf die Hälfte zurück, um anschliessend bis 1969 wieder auf 180 Mio. Schafe und 923’000 Tonnen Wolle anzusteigen.

Anzahl Schafe in Australien 1861 bis 1996. Die Dürre um 1900 ist deutlich sichtbar, so wie auch die gesunkene Nachfrage nach Wolle nach dem Zweiten Weltkrieg (Quelle).

Die Merino-Schafe, die man heute auf den Weiden sieht, wurden stetig aus den Merinos des frühen 19. Jahrhunderts gezüchtet. Während ein Schaf vor 150 Jahren eher klein war und ein gutes Kilo rauher Wolle lieferte, so geben die Merinos heute 3-5 Kilo feinste Fasern ab, sind gutmütig und einfacher zu scheren. Die kontinuierliche Steigerung des australischen Wollertrags ("the clip") kam also sowohl durch die Vergrösserung der Herden wie durch die Steigerung des Ertrags pro Schaf zustande. 

Frisch geschorene Merinowolle (Bild anklicken für Vergrösserung)

Australien hat mit Wolle zeitweise unanständig viel Geld verdient: während des Ersten und Zweiten Weltkriegs, als Grossbritannien "the whole clip for the duration of the war" (die ganze Wollernte während der Dauer des Kriegs) zu einem fixen Preis aufkaufte. Und noch einmal 1950 bis 1953 als die USA im Koreakrieg ihre Soldaten vor dem strengen Winter schützen musste: Australien wusste, dass die USA auf die Wolle angewiesen waren, wenn sie nicht den Krieg verlieren wollten, und setzte den Preis in neue Höhen: fast neunmal so viel wie die Briten 1945 bezahlt hatten. Die US-Regierung biss in den sauren Apfel. Aber der Niedergang war eingeleitet, nach dem Koreakrieg begannen die Preise am Weltmarkt zu sinken, während die Herden in Australien weiter vergrössert wurden. Die Gewerkschaft der Scherer hielt an einem zu hohen Mindestlohn fest. Später kam die Retourkutsche der US-Regierung dazu, die grosse Beträge in die Entwicklung von Kunstfasern als Ersatz für Wolle investiert hatte. Der Rest ist Geschichte: bis Merino-Wolle vor etwa 10 Jahren im Outdoorbereich wieder in Mode kam, trugen die Welt fast nur noch Baumwolle und Kunstfasern.

Wollpreis in Australien in [cent/kg]Die unübersehbare Spitze von $37/kg ist der Koreakrieg (Quelle).

1971 fiel der Preis auf $4.30 pro Kilo. Die Lobby der australischen Wollindustrie war stark, und der Ruf nach staatlicher Hilfe wurde laut. 1974 wusste die Regierung nichts besseres als mit der freien Marktwirtschaft zu interferieren, indem sie einen Mindestpreis für Wolle festsetzte. Jeder, der Wolle produzieren konnte, tat dies und machte ein Vermögen, weil ihm die Produktion zum garantierten Preis abgenommen wurde — auch als es auf dem Weltmarkt keine Nachfrage mehr dafür gab. Der australische Staatshaushalt ruinierte sich beinahe, 4.7 Mio. Tonnen Wolle lagen auf Halde. 1991 musste die Preisgarantie fallengelassen werden, die Profite der Industrie gingen in den Keller. Es dauerte bis ins Jahr 2000, bis der letzte Ballen aus den Beständen abverkauft war.

Australische Produktion von Merinowolle in [Mio kg/Jahr] 1983 bis 2015 (Quelle)

Mittlerweile hat die Nachfrage nach hochqualitativer Wolle wieder angezogen, doch viele Stations haben von Schafen auf Rinder umgestellt. Nicht zuletzt, weil in weiten Regionen die Dingos nicht mehr in Schach gehalten werden und zu viele Lämmer reissen (siehe meinen letzten Blogeintrag und diese Studie). 2014 lag Australien mit 75 Mio. Schafen auf Platz drei ganz knapp hinter Indien, vor Sudan und Iran und weit hinter China (187 Mio).

Brendon verwendet einen Rückhaltemechanismus, um seinen Rücken zu schonen

Im Teil 2 beleuchte ich, was die Scherer-Legenden leisteten und was die Australische Labour-Partei damit zu tun hat — Sheepo!

Freitag, 9. Oktober 2015

Outback Stations, Teil 2

Wie Fleisch und Wolle zu den Märkten kommen • Warum der Road Train die Industrie veränderte • Was eine Station ihren Mitarbeitern heute bieten muss • Wo Pferde und Hunde immer noch eingesetzt werden  • Was ein Bore-Runner tut.

Im Teil 1 habe ich beschrieben, wie im 19. Jahrhundert in Australien der Boden (crown land, weil er ja der britischen Krone “gehörte”) von den Kolonien verteilt oder von Pionieren abgesteckt und dann genutzt wurde. (Eine ausgezeichnete Erzählung des Pionierlebens im NT um 1900 ist das Buch We of the Never-Never von Aeneas Gunn (auch als Hörbuch verfügbar), das später als lose Vorlage für den Outback-Kitsch-Film Australia diente.) Anfängliche riesige Flächen wurden in späteren Landreformen aufgeteilt, damit mehr Siedler darauf ein Auskommen finden konnten.

Nambung Station aus Luft

Mit dem Erwerb einer Station, dem bestocken mit Kühen oder Schafen und mit deren Aufzucht war es aber noch nicht getan. Die Früchte der Arbeit mussten zuerst an die Märkte gebracht und dort verkauft werden, bevor wieder Geld hereinkam. Schlachtreife Rinder wurden zunächst buchstäblich querfeldein bis zu 1'000 oder 2'000 km zu den Städten, Goldgräberstätten oder Häfen getrieben. Das konnte mehrere Monate dauern, denn erstens gab es kaum Wege, und zweitens musste die Route (stock route) von Wasserstelle zu Wasserstelle führen, die 20 km oder höchstens 50 km auseinander lagen (siehe diesen Eintrag von 2010). Dürren oder Fluten liessen im Outback ganze Herden stranden oder umkommen. Später wurden Eisenbahnlinien gebaut, um Märkte für Rinder und Wolle zu erschliessen. Schafe mussten geschoren und ihre Wolle musste abtransportiert werden. Das geschah mit Pferde- oder Ochsengespannen, mit Schiffen und später eben mit der Eisenbahn.

Derby war ein wichtiger Hafen für den Export der Rinder aus dem Nordwesten

Ab den 1940er-Jahren wurde immer mehr Vieh und Wolle mit Road Trains verschoben, was mehr Flexibilität bedeutete, aber auch bessere Strassen — oder überhaupt Strassen — erforderte. Die Nachfrage nach Fleisch und Wolle schwankte, die Preise fluktuierten stark und konnten ein Vermögen oder den Ruin bedeuten (boom or bust).


Bereits vor 1900 erkannten geschäftstüchtige Station-Besitzer, dass es sich lohnte, eine Anzahl von Stations entlang den strategischen stock routes zu besitzen, weil sie dadurch Dürren und Regenzeiten ausweichen oder die Tiere sozusagen auf eigenem Land an die Märkte führen konnte. Heute operieren Firmen wie AACo oder S. Kidman&Co (siehe Teil 1) genau so: Kühe werden im Norden Australiens gehalten, wo auch die Kälber geboren werden. Später werden die Kälber von der Mutter getrennt und zu Stations in den fruchtbaren Grasebenen weiter im Süden transportiert, wo sie in kurzer Zeit viel Gewicht zulegen. Dann werden sie entweder in feedlots (Mastbetriebe) verbracht, wo sie mit Weizen, Mais oder Kraftfutter auf Schlachtgewicht gebracht werden. Oder wie werden als live exports nach Asien verschoben, wobei gewisse Länder ein maximales Lebendgewicht von 350 kg vorschreiben, damit die Tiere im Land selbst fertig gemästet werden können. Jedes Rind hat heute eine Ohrmarke, die berührungsfrei gescannt werden kann, und einen Eintrag in einer Datenbank. Dort sind alle Stationen des Tiers dokumentiert, alle Impfungen, Transporte, Verkäufe, etc.

Beim drafting werden Rinder nach Gewicht, Geschlecht, etc. getrennt in Gatter separiert, danach einzeln behandelt. Im blauen Käfig (cradle) werden sie gewogen, geimpft, mit Hormonen behandelt, kastriert, gebrandmarkt, etc.

In QLD sind Brandmarken trotz elektronischer Ohrmarke immer noch Vorschrift

So werden zu jeder Zeit viele Road Trains voll Rinder durch Australien gefahren. Die Tiere dürfen maximal 12 Stunden auf einem Road Train sein, dann müssen sie abgeladen, gewässert und geruht werden. Wenn die Tiere von den Stations nicht schon im Rahmen eines Vertrags (z.B. für einen Supermarktkette im Land oder für einen Exporteur) aufgezogen werden, dann werden sie später über einen saleyard (Viehmarkt) verkauft. In Roma, QLD, hatten wir Gelegenheit, den grössten solchen Viehmarkt in Australien zu besuchen. Pro Tag werden dort bis zu 13’000 Rinder gehandelt. Jedes Gatter im Viehmarkt entspricht einem Boden eines Road Trains, und typischerweise werden alle Rinder eines Gatter als Ganzes versteigert. Und das geht so:

Der Auktionär (zweiter von Rechts) repetiert wie ein Maschinengewehr den aktuell gebotenen Preis. Seine beiden Helfer schauen auf die Bieter, die ihre Gebote durch das Heben eines Fingers, durch Nicken, etc. erhöhen, wobei der Preisschritt vorgegeben ist. Mit der Bürste (sie ist in gelbe Farbe getunkt), werden Rinder markiert, die der Bieter aus seinem Kauf ausgeschlossen haben will


Nun aber zurück zu den grossen Stations, die man ja eben nicht so leicht besuchen kann. Zum Glück gibt es Leute wie Ewan McHugh, ein australischer Autor und Historiker, der über das Leben im Outback schreibt. 2011 hat sich Ewan vorgenommen, alle Stations mit mehr als 1 Mio. Hektaren (10’000 km2) zu besuchen — ein Plan, den er bald wieder verwarf, weil es in Australien zu viele davon gibt. So wählte er zehn der grössten Stations aus und verbrachte 2012 damit, diese Stations zu besuchen und ein Buch darüber zu schreiben: Outback Stations (auch als Hörbuch verfügbar). Die wirklich grossen Stations liegen natürlich dort, wo das Land für sonst nichts zu gebrauchen ist: im Outback. Es ist nicht ungewöhnlich, dass es von einer Station bis zum nächsten richtigen Supermarkt 8 Stunden Autofahrt sind.

Jetzt, wo wie die Geografie dieses riesigen Landes etwas besser kennen, können wir uns jeweils ziemlich gut vorstellen, wie es auf dieser oder jener der zehn Stations aussieht; einige haben wir passiert oder waren gar auf ihrem Land unterwegs.

Mitchell-Grass hat einen sehr hohen Nährwert und stellt sozusagen einen trockenen Heuhaufen dar

Die Zahlen sind in Ewans Buch sind gewaltig: um etwas konkreter zu veranschaulichen, wie so eine Station funktioniert, habe ich zwei ausgewählt.

Headingly Station, NT

10’332 km2 (also ca. 100 km x 100 km), ca. 50’000 Kühe und Rinder. Auf Headingly werden Kälber gezüchtet, die später auf andere Stations des Besitzers AACo verschoben und dort gemästet werden (2008: 47’000 Kälber). AACo ist seit 1824 im Geschäft.

Auf Headingly arbeiten 18 Personen: 1 Manager, 6 Stockmen (“cowboys” resp. “cowgirls”), 1 Obercowboy, 1 Road-Train-Fahrer, 1 Pilot, 1 Grader-Fahrer, 1 Mechaniker, 2 Bore-Runners, 1 Koch, 1 Gärtner, 1 Buchhalter, 1 Handyman. Bis in die 1950er-Jahre waren noch weit über 100 Personen beschäftigt, weil die Rinder zu Pferd zusammengetrieben (mustering) und verschoben (droving) wurden, viele davon Aborigines. Der Road-Train-Fahrer hat 2011 134’000 km gefahren, das meiste davon auf der Station selbst. Mit dem Grader werden die Pisten wiederhergestellt, z.B. nach Regenfällen. Die Bore-Runners sind dafür verantwortlich, dass die über 50 bores (Grundwasserpumpen) richtig laufen, weil sonst das Vieh durstig ist und weniger schnell Gewicht zulegt. Der Handyman ist einer, der die Kleinarbeiten verrichtet, z.B. Zeug flickt.

Reicht das Gras nicht, muss mit Heuballen überbrückt werden

Ein turkey's nest dam: mit dem Bagger wird ein See gegraben und die Erde ringförmig als Wall aufgeschüttet. Das Grundwasser (bis 1500 m tief) wird mit einer windbetriebenen mechan. Pumpe an die Oberfläche gefördert. Heute sind viele Pumpen elektrisch und werden von Solarpanels versorgt.

Commonwealth Hill Station, SA

10’000 km2, 50’000 bis 60’000 Schafe (es waren auch schon einmal 100’000, doch das übernutzte das Land). Limitierender Faktor ist das Wasser nicht das Futter für die Tiere. Das Wasser ist zum Teil gepumptes Grundwasser, zum Teil gestautes Regenwasser.

Die Station ist in 160 Weiden (paddocks) aufgeteilt, die im Schnitt 80 km2 gross sind (ein Kreis mit Radius 4.5 km). Jede Weide hat Wasserstellen für die Schafe. Die Station hat insgesamt 20’000 km interne Zäune, von denen jeder Kilometer $1500 kostet. Pro Jahr werden 5’000 bis 6’000 Schafe und 1’400 Ballen Wolle verkauft (1 Ballen wiegt knapp 200 kg, macht 280 Tonnen Wolle).

Dingos sind ein grosses Problem: drei Dingos rissen inner weniger Wochen 1400 Lämmer. Im Norden der Station gibt es den Dingo Fence, der alle drei Wochen vom Dogger patrouilliert und repariert wird; dafür ist er jeweils eine ganze Woche unterwegs. Wilde Kamele drücken den Zaun ein, Füchse graben unten durch, sodass die Dingos Durchlass finden.


Dingo-Spuren in nassen Boden

Dingo Fence in SA



Eine Station besteht im Wesentlichen aus viel Land, Mitarbeitern, Tieren, Zäunen, Brunnen, Tanks, Leitungen, Pumpen, Fahrzeugen und dem Hof. Der Hof besteht aus einem Einfamilienhaus für den Manager — typisch australisch und eingeschossig —, Unterkünften für das Personal, Garten, Wassertanks, Treibstofftank und mehreren sheds (Halle, Schopf oder Unterstand, meist aus Wellblech), allenfalls einer Landepiste. Und irgendwo gibt es noch ein Areal mit alten Fahrzeugen, Maschinen, Geräten, etc.; diese werden typischerweise nie entsorgt, denn sie funktionieren als Ersatzteillager, auch wenn bereits alle eines Typs auf Halde stehen. Diese Mentalität ist verständlich, wenn es viele Tage bis Wochen dauert, bis ein Ersatzteil eintrifft. So hat jede Station auch eine eigene Werkstatt, wo Reifenreparaturen, Schweissarbeiten, Fahrzeugservice, etc. ausgeführt werden können.


Auf Stations werden auch heute noch Pferde und Hunde eingesetzt, um das Vieh zu treiben. Der Grossteil der Mitarbeiter sitzt aber auf Motocross-Maschinen, Quads, in 4x4-Fahrzeugen oder gar im Flugzeug und Helikopter. Jeder Angestellte abseits des Hofs ist per Funk erreichbar, auch aus Sicherheitsgründen. Es werden mehrmals täglich Standortmeldungen gemacht.



Die Stations sind heute ziemlich effizient organisiert und ständig auf der Suche nach gutem Personal. Um für qualifizierte Leute attraktiv zu sein und um sie auch halten zu können, sind qualitativ gutes Essen, komfortable Unterkünfte, ein gutes Betriebsklima und ein schneller Internetanschluss unabdingbar. Oft sind Leute mit Hochschulabschluss darunter, denn Stockmanagement und -planung werden heute nicht mehr auf gut Glück gemacht, sondern mit komplexen Modellen, welche Niederschlagsmengen, Bodenqualität, Viehrasse, etc. einbeziehen, um sicherzustellen, dass Futter und Wasser ausgenutzt aber nicht übernutzt werden. Die Mitarbeiter sind typischerweise jung, entweder Australier oder ausländische Backpackers, die einmal etwas anderes erleben wollen. Viele bleiben "hängen". Die Arbeitstage sind lang, aber der Lifestyle sei einer der Hauptmotivationen, auf Outback Stations zu leben und zu arbeiten.